Musterrede

Abschied in den Ruhestand

Liebe Frau Herrenberg, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich bin für die Einführung der Rente ab 75. Ab dem 1. August. Also ab morgen.
Bevor Sie nun entsetzt die Augen verdrehen und denken „der spinnt doch, der Chef“, sei ergänzt: „Ich bin für die Rente ab 75 für Frau Herrenberg“. Denn dass Sie, liebe Kollegin, heute Ihren letzten Arbeitstag haben, finde ich unglaublich. Vor allem unglaublich schade. Denn mit Ihnen verlieren wir eine unserer treuesten Mitarbeiterinnen. Gleichzeitig die mit der längsten Betriebszugehörigkeit.

Seit sage und schreibe 45 Jahren sind Sie nun in unserem Unternehmen. Sie sind im Lauf der Jahre eine Institution geworden.
Sie haben damals als Lehrmädchen im Büro angefangen, sich fleißig und kontinuierlich weitergebildet und sind so die Karriereleiter Stufe für Stufe nach oben geklettert. Zielstrebig, aber auch immer fair.

Ein paar Jahre haben Sie für Ihre Tochter Sabine eine „Karriereleiter-Stufenpause“ eingelegt. Als Alleinerziehende ist das ja nicht so ganz leicht. Aber mit Hilfe Ihrer Mutter, die sich ab dem Kindergartenalter um Sabine kümmerte, ergänzten Sie wieder unser Team. Um sie kam keiner herum.

Seit 20 Jahren waren sie dann die Vorzimmerdame meines Vaters. Wem aber dabei der Begriff „Vorzimmerdrachen“ einfällt, der liegt total verkehrt. Feuer speien, das gab es bei Ihnen nicht. Dazu waren und sind Sie immer viel zu viel Dame.

Okay, einfach so, ohne Termin, bei meinem Vater ins Büro zu marschieren, das funktionierte aber auch auf keinen Fall. Soll es ja auch gar nicht. Man wird ja noch seinen Kaffee in Ruhe trinken dürfen…

Aber wer ohne Termin kam, konnte durchaus mit Ihnen verhandeln. Und mit dem entsprechenden rethorischen Geschick und einer Portion Charme klappte es auch mit dem unangemeldeten Besuch.

Dann kam irgendwann Ihr berühmter und vom „Antragsteller“ ersehnter Satz „Also gut, dann will ich mal schauen, was ich machen kann…. Aber zaubern kann ich auch nicht!“ Dieser Satz ist übrigens schon lange in unserer Firma eine Art geflügeltes Wort geworden, aber das haben Sie ja sicher – auch schon lange – mitbekommen.

Wußten Sie eigentlich, dass es fast schon so etwas wie einen Wettbewerb unter den Mitarbeitern gab? Wer schaffte es am schnellsten, einen unangemeldeten Termin bei meinem Vater zu bekommen? Bei wem wird „die Herrenberg“ am schnellsten weich?

Man kann sagen, dass es fast schon eine Art Rethorik-und Charme-Schule war, die man bei dieser Gelegenheit bei Ihnen durchlaufen musste. Wenn ich so recht drüber nachdenke, dann könnte das fast als innerbetriebliche Weiterbildung zählen…

Sie waren die rechte Hand meines Vaters. Das Wohl der Firma immer im Auge und damit gleichzeitig das Wohl meines Vaters. Sie haben seine Termine koordiniert, die Reisen gebucht. Wenn wir Hausmesse hatten, dann warteten alle unsere Kunden schon sehnlichst auf die Einladungen, die Sie verschickten. Immer mit einem persönlichen Text – und wenn Sie dafür Überstunden machen mussten. Natürlich kochten Sie auch, ganz klischeehaft, Kaffee. Aber was für einen! Ich habe manchmal den Verdacht, manche Kunden kamen gerne eine zeitlang vor dem Termin und warteten, nur damit sie Ihren legendären Kaffee mit Zimt und Sahnehäubchen bekamen… Damit wurde die Wartezeit gleichzeitig zum Sahnehäubchen für den ganzen Termin bei meinem alten Herrn.

Als mein Vater vor fünf Jahren so dramatisch ums Leben kam, hat Sie das schwer getroffen. Damals waren sie zum ersten und einzigen Mal wirklich krank und wir haben uns große Sorgen um sie gemacht. Wir alle waren am Boden. Aber, liebe Kollegen, ich bin sicher, Sie stimmen mir da 100 % zu: die Frage „wer berappelte sich als erstes wieder und sicherte das Tagesgeschäft? Wer hielt den Schmerz aus und half den anderen, es auch zu tun?“ Ist rein rethorisch. Wer war das? Genau! „Die Herrenberg“.

Ich habe Sie damals sozusagen „geerbt“. Ein wunderbares Erbe. Ich gebe ja zu, dass ich manchmal ein komisches Gefühl hatte, auf einmal Ihr Chef zu sein. Die Übernahme der Geschäftsleitung war ja noch lange nicht geplant, auch wenn meine ganze Ausbildung darauf ausgerichtet war. Doch wenn man plötzlich Chef einer so wunderbaren Mitarbeiterin wie Ihnen ist, dann ist das schon gewöhnungsbedürftig. Denn- Sie kennen Sie mich noch als Teenager, der sich gerne mal nach einem anstrengenden Schultag bei Ihnen im Sekretariat niederließ und auf einen Kakao hoffte. Und selbst als kleiner Steppke in kurzen Hosen haben Sie mich gekannt, wenn Sie beim jährlichen Mitarbeiterfest bei uns daheim waren. Irgendwie waren Sie manchmal fast wie eine zweite Mama für mich. Und auf einmal war ich Ihr Chef… Aber ich finde, wir haben da eine tolle Kooperation entwickelt und ich bin stolz, dass Sie ganz selbstverständlich auch für mich gearbeitet haben!

Und nun soll ich ohne Sie auskommen? Das geht eigentlich gar nicht. Die eingangs erwähnte „Herrenberg-Rente mit 75“ wäre einfach zu schön. Für mich. Für uns alle. Nee, falsch, nicht für alle. Denn Sie haben Sie verdient, die Rente ab jetzt. Sie haben alles für die Firma gegeben. Sie waren immer da, immer verlässlich. Immer fair. Immer korrekt. Immer freundlich. Immer hilfsbereit. Immer mit einem guten Rat zur Stelle, wenn es Probleme gab.
Wir entlassen Sie nun, sehr schweren Herzens, aus unserem Kollegenkreis in den wohlverdienten Ruhestand. Und der Begriff „wohlverdient“ ist nicht als Phrase dahergeschwätzt. Er ist ganz ernst gemeint.
Wir haben uns ja auch gern mal privat unterhalten. Und wenn Sie meinen, ich hätte nicht mitbekommen, dass Sie ein Thailandfan sind, dann kennen Sie mich aber schlecht. Aber aus welchem Grund auch immer sind Sie in all den Jahren aber nie dorthin gefahren. Das geht ja gar nicht! Ich wollte als Kind immer Geheimagent werden. Und als Hobby-Spion habe ich mich erkundigt. Undercover. Wahnsinnig geheim. Sie haben immer nur DVDs über dieses schöne Land geschaut und viel darüber gelesen. Aber jetzt werden Taten folgen. Meine Informantin hat mir nahezu eidesstattlich versichert, dass Sie durchaus gerne mal „live und in Farbe“ Thailand erkunden würden, aber nicht wußten, mit wem…

Meine geheime Informantin hat sich daher bereiterklärt, mitzufahren. Ganz selbstlos… Und daher bitte ich jetzt – Sie ahnen es wahrscheinlich eh schon – Ihre Tochter Sabine, zu uns zu kommen. Sie hat den Gutschein für eine dreiwöchige Reise nach Thailand für Sie und Ihre Tochter bei sich. Meine Mutter und in memoriam auch mein Vater sowie ich möchten uns mit dieser Reise bei Ihnen bedanken. Für Ihre Treue zur Firma. Für Ihre Freundlichkeit und Geduld, auch wenn es mal wieder stressige Zeiten gab. Für Ihr Durchhaltevermögen selbst in harten Zeiten. Dafür, dass es Sie gibt und dass wir die Freude und Ehre hatten, Sie zu unserem Mitarbeiterkreis zählen zu dürfen.

Liebe Frau Herrenberg, Tausend Dank für alles. Tausend schöne Eindrücke auf Ihrer Reise. Tausend schöne Momente in Ihrer Rentenzeit, die lange, lange, lange dauern möge! Kommen Sie uns ruhig besuchen! Wir kochen Ihnen auch einen Kaffee… Oder…Ach nein, den kochen Sie denn lieber selber, denn den kann keiner so machen sie Sie!
In diesem Sinn, liebe Kollegin, ab morgen Ex-Kollegin, alles Liebe und Gute! Auf Wiedersehen, good bye und „la gòn kráb, la gòn ká!“